Das Kirchenrecht in der Schweiz hat einen neuen Ort, an dem es für die Zwecke sowohl der Wissenschaft als auch der Praxis gesammelt und von dem aus es einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll: das Schweizerische Jahrbuch für Kirchenrecht bzw. in französischer Sprache: Annuaire suisse de droit ecclésial
Kirchenrecht bzw. droit ecclésial steht dabei zunächst für das Recht der evangelisch-reformierten Kirchen sowie der römisch-katholischen Kirche und ihrer Kantonalkirchen; darüber hinaus auch für das Staatskirchenrecht, d.h. für diejenigen staatlichen Rechtssätze, die sich auf Religion und Kirche beziehen. Der religionsrechtliche Aspekt berücksichtigt die zunehmende Bedeutung juristischer Fragestellungen mit ausserchristlichem Bezug.
Die Herausgeber freuen sich, den ersten Band des neuen Jahrbuchs jetzt vorlegen zu können. Die späteren Bände sollen jeweils im Januar erscheinen.
Das Jahrbuch wird gemeinsam herausgegeben von fünf Personen, die in je verschiedener Weise dem schweizerischen Kirchenrecht eng verbunden sind: Jakob Frey , Präsident der Schweizerischen Vereinigung für evangelisches Kirchenrecht, ist als Kirchenjurist in der Berner evangelisch-reformierten Landeskirche tätig. Dieter Kraus arbeitet im Kirchen- und Staatsrecht an der Universität Tübingen. Wolfgang Lienemann ist Professor für Ethik an der Evang.-Theologischen Fakultät der Universität Bern. René Pahud de Mortanges hat den Lehrstuhl für Rechtsgeschichte und Kirchenrecht an der Universität Freiburg i.Ue. inne. Christoph Winzeler ist als Jurist in vielfältiger Weise mit wirtschafts- und kirchenrechtlichen Fragen in Wissenschaft und Praxis befasst.
Der Gedanke und das Vorhaben zu dem Jahrbuch sind im Rahmen der Schweizerischen Vereinigung für evangelisches Kirchenrecht entwickelt worden. Ähnlich wie die Vereinigung aus informellen Zusammenkünften evangelisch-reformierter Kirchenjuristen entstanden und über die Jahre zu der jetzigen, in Vereinsform verfassten Institution herangewachsen ist, so waren und sind es die wissenschaftlichen Referate auf den Kirchenjuristentreffen bzw. den Jahresversammlungen der Vereinigung, die einen ganz wesentlichen Anstoss für das Jahrbuch darstellen. Die Vereinigung, zu deren statutarischen Zielen es u.a. gehört, die Veröffentlichung kirchenrechtlicher Druckschriften zu unterstützen, hat in vielfältiger und tatkräftiger Weise bei der Realisierung des Jahrbuchs geholfen. Ein besonderer Dank gebührt dem Berner evang.-reform. Synodalrat, der das Erscheinen des ersten Bandes durch einen grosszügigen Zuschuss ermöglicht hat. Sehr angenehm gestaltet sich auch die Zusammenarbeit mit dem Verlag Peter Lang in Bern.
Einen zentralen Bestandteil des Jahrbuchs bildet der Abdruck der wissenschaftlichen Referate, die auf den traditionellerweise Ende Januar stattfindenden Jahrestagungen der Schweizerischen Vereinigung für evangelisches Kirchenrecht gehalten werden. Diese Referate ergeben zusammen mit weiteren Abhandlungen den Aufsatzteil des Jahrbuchs. Daran schliessen sich Mitteilungen des Herausgeberkreises oder der Vereinigung über Veranstaltungen von kirchenrechtlichem Interesse an. Alsdann folgt ein umfangreicher Berichtsteil, der bedeutsame kirchenrechtliche Ereignisse und Entwicklungen in den Kirchen und Kantonen behandelt und der von Personen verfasst ist, die im jeweiligen Berichtsgebiet leben oder beruflich tätig sind. Dieser Teil des Jahrbuchs erscheint uns besonders wichtig, gewinnt doch gerade in der Schweiz das Kirchenrecht seine Vielfalt und Farbigkeit aus der spezifischen Prägung und Eigenart der einzelnen Regionen des Landes. Dementsprechend sind die Berichte ganz unterschiedlich gestaltet und beschäftigen sich mit Themen, die von kirchenrechtlicher Rechtsetzung in Kanton, Kantonalkirche und Kirchgemeinden über religionsrechtlich relevante Gerichtsentscheide und konfessionssoziologische Veränderungen bis hin zu Personalia, Jubiläen etc. reichen. Die Berichte werden ergänzt durch den Dokumentationsteil des Jahrbuchs, der neuergangene ebenso wie partial- oder totalrevidierte Kirchenverfassungen, religionsrechtliche Bestimmungen staatlicher Verfassungen sowie kantonale Kirchengesetze enthält und damit den Zugang zu diesen manchmal nicht leicht auffindbaren Texten erleichtert. Schliesslich gibt es einen Rezensionsteil, der einen Überblick über jüngere kirchenrechtliche Literatur bietet.
Mit dieser Konzeption hoffen die Herausgeber, dem Kirchenrecht in der Schweiz ein Forum zu schaffen, das als Vermittler sowohl von den Kantonalkirchen zur wissenschaftlichen Öffentlichkeit als auch in umgekehrter Richtung wirken kann. Wie die Vereinigung möchte das Jahrbuch das Kirchenrecht in Staat und Kirchen bekannt und beliebt machen und dazu beitragen, dem Kirchenrecht eine besser hörbare Stimme zu geben.
Die Herausgeber streben an, in den nächsten Bänden des Jahrbuchs Berichte über die kirchenrechtliche Entwicklung in weiteren Kirchen und Kantonen zum Abdruck zu bringen und so eine landesweite Berichterstattung zu erreichen. Je nach Ereignisdichte würde damit das ganze Gebiet der Schweiz im unregelmässigen Turnus berücksichtigt. Ferner möchten wir die bisher hauptsächlich auf die Entwicklung des evangelisch-reformierten Kirchenrechts sowie des schweizerischen Staatskirchenrechts bezogenen Berichte bald schon durch einen zusammenfassenden Bericht über die Entwicklung des römisch-katholischen kantonalkirchlichen Rechts ergänzen. Darüber hinaus wäre es schön, das Jahrbuch auch an dieser Stelle stärker für eine allgemeiner religionsrechtliche Perspektive zu öffnen und neben den christlichen Hauptkonfessionen anderen Religionsgemeinschaften und ihren aktuellen rechtlichen Belangen Raum und Aufmerksamkeit zu gewähren.
Wünschenswert erscheint uns auch die vermehrte Berücksichtigung der anderen Landessprachen, insbesondere im Aufsatzteil, nachdem im Berichtsteil mit zwei französischsprachigen Beiträgen bereits ein Anfang gemacht worden ist.
Unser ehrgeizigstes Vorhaben ist die Herausgabe einer Beiheftreihe zum Jahrbuch. Beihefte dienen der Veröffentlichung grösserer Abhandlungen ebenso wie von thematisch zusammengehörenden Texten, die zu umfangreich sind, um in einem Band des Jahrbuchs Platz zu finden. Des weiteren bestände hier die Möglichkeit der Aufnahme kirchenrechtlicher Dissertationen. Bislang gab es dafür vornehmlich die eher katholisch geprägte Reihe der 'Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat', die im Universitätsverlag Freiburg Schweiz verlegt wird. Ein erstes Beiheft soll schon im Frühsommer 1997 erscheinen und ganz den Baselstädter Bestrebungen einer Revision der evangelisch-reformierten Kirchenverfassung aus dem Jahre 1910 gewidmet sein. Neben dem Verfassungsentwurf von 1995 und weiteren Rechtstexten soll es Aufsätze enthalten, die den Entwurf sowohl in grundsätzlicher Weise als auch hinsichtlich spezieller Aspekte erörtern.
Für die Fortführung des Jahrbuchs in der beschriebenen Konzeption sowie für die Verwirklichung der skizzierten Pläne und Projekte ist dem Herausgeberkreis sehr an der Mitarbeit von in der kirchenrechtlichen Praxis, Forschung und Lehre tätigen Personen gelegen. Alle kirchenrechtlich Interessierten sind daher herzlich eingeladen, etwas zu dem Jahrbuch beizusteuern. Die Anschriften der Herausgeber einschliesslich ihrer Zuständigkeiten für die einzelnen Teile des Jahrbuchs sind am Ende dieses Bandes (S. 196) abgedruckt.
Dieter Kraus
04.11.1996/Kr.